Das Leben ist eine Kurve — Therapeutisches Schrauben

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Therapeutisches Schrauben

“Man kann das schwerlich rationalisieren”, mahnte mein Freund Krylov über meine Erklärungsversuche, genau das gleiche Motorrad noch einmal aufzubauen.

Kann man schon, man muss dazu aber tief in der Psychokiste kramen.

Das menschliche Gehirn hat die Eigenschaft, nicht an nichts denken zu können. Es ist zum Denken gemacht und den Job tut es, ob man nun will oder nicht. Und zwar ständig. Dabei denkt es oft ganz von selbst und die Gedanken, die einem in den Kopf kommen, sind nicht immer solche, die einem gefallen: Der Streit mir der Freundin, das nicht erfolgreiche Projekt, eine blöde Sache, die man vor 30 Jahren einmal gesagt oder gemacht hat: Das Gehirn ist erfinderisch dabei, die Seele nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Wer kennt das nicht: Man liegt nachts im Bett, will schlafen, aber es kreisen einem immerfort Gedanken durch den Kopf. Man kann dem Gehirn auch nicht sagen, dass es an etwas nicht denken soll. Kleines Experiment: Denke bitte nicht an einen rosa Elefanten. Na, etwas gemerkt?

Man kann also nicht nicht denken. Man kann aber durchaus bestimmen, woran man denkt. Man sucht sich ein Thema und betrachtet es gedanklich. Dabei hilft es, wenn es ein eher angenehmes Thema ist und nicht die Vorstellung der nächsten proktologischen Untersuchung.

Man nennt so etwas ein Mantra. Ein Mantra lässt gibt dem Gehirn ausreichend angenehmes Futter, damit es nicht auf dumme Gedanken kommt.

Mantras sind natürlich individuell verschieden. Mein Mantra ist der Aufbau eines Motorrads. Ich stelle mir vor, was ich als nächstes tun möchte, freue mich über das Erreichte und - wenn ich diese Gedanken abends im Bett denke - schlafe ich prompt ein (es soll auch Fälle gegeben haben, wo auch andere bei der Schilderung meiner Motorraderlebnisse eingeschlafen sind).

Ein Mantra ersetzt die Kakophonie des leer drehenden Gehirns durch echte Gedanken. Ich bin sicher, meiner Frau würde es besser gefallen, wenn mein Mantra nicht das (teure) Restomodding wäre, sondern die Verschönerung unserer Wohnung oder unseres Gartens. Dabei sollte sie einfach froh sein, dass es keine rosa Elefanten sind.

Ein Motorradprojekt kann also ein Mantra sein, etwas, das einem gute Gedanken gibt. Gute Gedanken verscheuchen schlechte und es geht einem gut. So einfach ist das.

Dann das Schrauben selbst. Jeder kennt das: Man ist beim Schrauben noch mit Gedanken irgendwo anders, der Schraubenschlüssel rutscht ab und man hat eine Macke entweder im Finger oder schlimmstenfalls im Motorrad. Man lernt ganz schnell: Schrauben geht nur, wenn man sich darauf konzentriert, sonst produziert man Murks.

Allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz ist unser Gehirn nicht Multitasking-fähig. Gutes Denken ist eine ziemlich exklusive Sache und geht nicht als Hintergrundprozess. Wenn man also auf eine Sache konzentriert ist - zum Beispiel darauf, dass der Schraubenschlüssel nicht abrutscht und einem die Finger demoliert - dann kann man nicht gleichzeitig etwas anderes denken.

Man muss sich also beim Schrauben auf das Schrauben konzentrieren. Das ist keine furchtbar anstrengende Konzentrationsarbeit, aber die Konzentration auf die Sache lässt keinen Platz für andere Gedanken, wie etwa proktologische Untersuchungen oder merkwürdig gefärbte Großtiere.

Zum Entspannen kann man das Gehirn nicht einfach abschalten, aber man kann es umschalten. Das ist dann therapeutisches Schrauben.

Paul Watzlawick ist meines Wissens nie Motorrad gefahren, hat aber das Standardwerk des therapeutischen Schraubens verfasst. Wer es selbst lesen möchte - es heißt: Anleitung zum Unglücklichsein. Echt wahr.